
Norwegen: Bergen-Kirkenes-Bergen – die Winterreise mit Hurtigruten Teil 22
10.03.12 von Bodo über den Polarkreis nach Rorvik Im Gegensatz zu gestern erwartet uns heute ein gänzlich unspektakulärer Tag: Wir laufen nur ein paar kleinere Häfen an und überqueren am Vormittag kurz nach 9:00 wieder den Polarkreis. Zur Feier dieses Ereignisses gäbe es Lebertran, aber darauf verzichten wir dankend. Ich, weil ich noch tief schlafe, Kurt, weil er fotografieren will. Das Wetter ist misslich und wechselt im Minutentakt: Graupel – Schnee – Regen – kurze Pause, und wieder von vorne. Wir kreuzen die nordgehende Nordnorge
Zeitweise ist es so verhangen, dass man von den Panoramafenstern aus nicht mal das Meer sieht.
Dazu weht ein stürmischer Wind, sodass ich es nicht schaffe, auf Deck 6 um das Schiff herumzugehen: sobald ich aus dem Windschatten komme, kann ich keinen Fuss mehr vor den andern setzen, muss schauen, dass ich nicht fortgeblasen werde. In einer längeren Regenpause legt das Schiff für eine Stunde in Sandnessjoen an.
Zusammen mit dem Paar von unserem Hammerfest-Abenteuer wollen wir das Oertchen besichtigen. Es scheint sogar ein wenig die Sonne …
… aber kaum stehen wir am Kai, schön warm eingepackt, geht ein Graupelschauer von der scheusslichsten Art auf uns nieder. Die Körnchen tun im Gesicht richtig weh. Muss ich nicht haben. Ich gehe zum Schiff zurück, die andern drei lassen sich nicht abhalten. Hauptstrasse; viel verpasst habe ich da wohl nicht
Ich ziehe mich also wieder um: raus aus den warmen Klamotten, rein in die bequemen und beschliesse, den Rest des Tages in Gesellschaft des Läppis an der Wärme zu verbringen, mit herrlicher Aussicht auf das dramatische Wetter draussen und überlasse das Fotografieren meinem Mann.
Nach 14:00 wollen wir uns wie gewohnt am Dessertbuffet mit Kuchen und anderen leckeren Dingen bedienen. Das eigentliche Mittagessen lassen wir schon seit Tagen aus, denn Fisch gibt es hier ohne Ende, auch Fleisch in allen Variationen, aber die Vegetarier haben es nicht besonders abwechslungsreich: Die Gemüseauswahl beschränkt sich inzwischen auf gedämpfte leuchtend orange Möhren und knallgrüne Erbsen, nur ganz zu Beginn gab es chinesisches gebratens Gemüse. Als Sättigungsbeilage stehen da praktisch ausschliesslich Kartoffeln, ganz selten Reis, Pasta nur als Salat, meistens mit Fleisch oder Fisch drin, und die übrigen Salate kennen wir jetzt zur genüge. Mein Nase sagt mir, dass es heute mal endlich ein anderes Gemüse gibt: Sauerkraut!! Dazu schnappte ich mir vom Dessertbuffet frische Ananasscheiben: Ist richtig lecker – für mich, mein Mann mag das gar nicht. Dafür esse ich auch gleich zwei Portionen, da ich heute ja ausgeschlafen und somit das Frühstück verpasst habe. Und für einen Dessertteller ist deshalb auch noch Platz!
Ich finde es immer wieder toll, während dem Essen die faszinerende Landschaft vorbeigleiten zu sehen, besonders heute, bei diesem dramatischen, sich in schneller Folge wechselndem Wetter:
Wegen dem hohen Seegang und der engen Hafeneinfahrt können wir Bronnoysund nicht anlaufen, der Kapitän wendet mitten im Sund und wählt eine andere Route, aussen um die betreffende Inselgruppe herum.
Ich weiss nicht, ob es am schlechten Wetter liegt: mir scheint, dass viele Passagiere heute irgendwie missmutig, ja gereizt sind. Als ich heute Nachmittag in einem Aufenthalsraum mit meinem Laptop sass, sprach mich ein älterer Herr an, der wissen wollte, ob ich Journalistin sei. Ich verneinte und fragte, wie er darauf käme. Nun, meinte er, ich hätte ihm sonst vielleicht helfen können, denn der Oelsand in Kanada sei an allem Schuld. Auf meinen fragenden Blick hin erörterte er mir, dass der ganze Klimawandel und alles, was ich da draussen sehe, mit dem Waschen dieses Oelsandes zu tun habe, und dass die Natur irreversibel geschädigt werde, und der Weltuntergang bevorstehe, wenn dies nicht sofort gestoppt werde. Ich wagte dann zu sagen, dass die Natur gewiss überleben werde, höchstens die Menschen nicht. „Was nützt mir das??“ blaffte er mich an, „sie können mir nicht helfen!“ Wohl wahr. Und was „da draussen“ so schlimm sein soll, habe ich auch nicht begriffen. Beim Nachtessen gibt es ja eine feste Tischordnung, aber erst jetzt fällt mir auf, dass besagter Herr in meiner Blickrichtung schräg links sitzt, gegenüber seiner Gattin. Die möchte Wasser nachgeschenkt bekommen. Er nimmt die Karaffe und füllt ihr Glas knapp zur Hälfte. Sie möchte mehr haben. Er schenkt das Glas dermassen randvoll ein, dass es ein perfektes Anschauungsobjekt für Oberflächenspannung ist und nur nicht überläuft, weil wir gerade für eine Stunde im geschützten Hafen von Rorvik liegen. Natürlich kann sie nicht daraus trinken und lässt es stehen. In meiner Blickrichtung geradeaus, im Rücken meines Mannes, sitzt ein schwules Pärchen. Der eine (mit dem Rücken zu mir) redet ohne Punkt und Komma, der andere ist der geborene Schweiger. Zu Anfang dachte ich, er wäre stumm, ist er aber nicht. Er kommuniziert nur anders, nonverbal, und das meisterhaft. Der Mann hat eine Mimik drauf, die jedem Schauspieler würdig wäre; vielleicht ist er ja auch einer? Nach gut fünfminütigem Monolog und anschliessender Frage seines Freundes hebt er die eine Augenbraue. „Lass mich endlich in Ruhe essen und sei still“ lese ich daraus. Der andere verstummt auch sogleich - für ihn wohl für eine gefühlte Ewigkeit. Aber schon nach einer Minute geht es wieder los. Wild gestikulierend, mit Kichern unterbrochen, erzählt er munter weiter. Der andere braucht nur seinen Blick zu heben: Wer nicht weiss, dass Blicke töten können, lernt es sofort. Nun ist Ruhe, bis die Kellnerin kommt und fragt, ob sie abräumen dürfe? Wohlwollendes Nicken vom Schweiger. Sein Freund antwortet: „Ja, gerne, und den da können sie auch gleich mitnehmen, für den habe ich keine Verwendung mehr“, wobei er auf sein Gegenüber deutet. Dessen Gesichtsausdruck besagt: „Du benimmst Dich einfach unmöglich!“. Die Kellnerin kann sich ein Grinsen nur knapp verkneifen und begnügt sich mit den Tellern.
„Was siehst Du denn so Interessantes?“ fragt mich Kurt. Ich erzähle ihm die zwei Episoden. „Soll ich Dir sagen, was hinter deinem Rücken vorgeht?“ fragt er. „Da streiten sich zwei Paare an einem Vierertisch seit geraumer Zeit, wer den Wein – nein, nicht bezahlen darf - sondern muss!“
In der Nacht kommt dann ein richtiger Sturm auf: Windstärke 9 und 6 Meter hohe Wellen, peitschender Regen an den Scheiben. Auf Deck 8 schaukelt es da ziemlich. Weil die Tassen über die Tische zu rutschen und die Vorhänge heftig zu schwingen beginnen, finden wir es an der Zeit, unsere Kabine aufzusuchen. Wir sind ohnehin wieder einmal die Letzten.
23.03.2013, 19:26 von Karin |
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