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Mit einem Lotos durch den Kashmir 5/8

Sanath hatte eben eine aufgeregte Diskussion mit dem Fahrer und ich frage, was los sei?

„Der Militär in seinem Holzhäuschen will uns nicht passieren lassen, da wir vom letzten Checkpoint nicht den richtigen Stempel haben.“

Das war der vor dem Zoji-Pass.

Und dahin sollten wir jetzt zurückfahren.

 

Ein paar Umstehende aus der Gruppe haben das mitbekommen und einer schlägt vor, wir könnten doch im eben passierten Flüchtlingslager übernachten, da bekämen wir bestimmt auch was zu essen, denn unterwegs gäbe es ja nichts, und den Fahrer allein zurückfahren lassen. Allgemeines Nicken.

Toll, die wohlgenährten Europäer machen sich Sorgen  um ihre knurrenden Mägen und wollen Essen bei Flüchtlingen schnorren, die selber kaum was haben, aber das bestimmt mit uns teilen würden.

Für mich kommt so was absolut nicht in Frage, und ich weiss, dass dies auch Kurts Meinung wäre.

Wenn wir nicht mit zurückfahren, dann übernachten wir eben in diesem Militärhäuschen und legen zusammen, was sich in unseren Rucksäcken noch alles finden lässt. Das dürfte zum „Ueberleben“ reichen; ich für meinen Teil, kann ohne weiteres auf eine Mahlzeit verzichten und alles abgeben.

Jetzt schauen sie betreten vor sich hin und wenn Fremdschämen mein Ding wäre, würde ich es tun.

Sanath wirft mir einen einvernehmlichen Blick zu und will erst selber mit dem Offizier über die Stempel-Geschichte sprechen. Der ist ein Sikh, und Sanath spricht auch Punjabi, die Sprache der Sikhs.

 

Ich brauche dringendst etwas Abstand, gehe zum Bus und hole meinen Lotos mit der Flasche. Die ist bei diesem Zwischenfall ausgeleert, und ich will sehen, ob es da einen Bach gibt zum Nachfüllen.

Leider finde ich nirgends Wasser und komme wieder an dem Militärhäuschen vorbei, aus dem ziemlich laute, aufgebrachte Stimmen dringen.

Sanaths Punjabi-Kenntnisse scheinen nicht wirklich der Joker zu sein, denke ich, aber in dem Häuschen gibt es vielleicht Wasser für den Lotos, und eine „Verhandlungspause“ dürfte wohl nicht schaden.

Ich klopfe an und auf ein unverständliches Bellen hin öffne ich die Tür.

An einem Tischchen sitzt der Offizier, ein Sikh wie aus dem Bilderbuch: rundlich, schwarzer Bart, ebensolche Kulleraugen; den obligaten Turban ersetzt bei den Militärs in Kampfuniform ein schwarzes Kopftuch, das ihnen ein piratenhaftes Aussehen verleiht.  

Ich gehe direkt auf ihn zu und frage ihn, ob ich etwas Wasser für meinen Lotos haben könnte?

Der Mann sieht mich ungläubig an: Was ich denn mit dem Lotos wolle? will er wissen.

 

Bis jetzt gab es keinen Plan, nur der Wunsch und das Wissen, dass ich ihn mitnehmen muss. Ich war in Srinagar schon froh, dass Kurt nicht nach meinen Beweggründen fragte, denn ich hätte wirklich keine Antwort gewusst.

So staune ich selbst, woher meine Worte kommen: ich sage ihm, ich hätte ihn aus Srinagar mitgebracht, um  ihn dem Buddha zu bringen, der habe bestimmt schon lange keinen frischen Lotos mehr bekommen.

Der Satz klingt in meinen Ohren ganz selbstverständlich, aber in meinem Kopf sind hundert Fragezeichen.

 

„Sie wollen sagen, sie fahren wegen einem Lotos mitten durch ein Kriegsgebiet??“

 Ich zucke nur mit den Schultern, denn so ist es ja nicht gerade, während er die Hand nach der „Vase“ ausstreckt, in ein Nebenräumchen verschwindet und sie mir halbgefüllt mit den Worten „You are crazy, you know?“ und einem kopfschüttelnden Lächeln wieder zurückgibt.

 Ich bedanke mich höflich und gehe in Gedanken versunken zum Bus zurück.

 

Ich bin noch nicht ganz da, als die Türe wieder aufgerissen wird und Sanath mit einem Zettel in der Hand hinausstürmt und meinen Namen ruft. 

„Stell dir vor, ich habe den Stempel erhalten -  und weißt du warum?“

„??“

„Weil, wenn er uns zurückschickt, der Lotos verblüht ist, bis wir in Mulbek sind.“

„Mulbek?“

„Der Buddha-Maitreya-Tempel.“

„Weißt Du, wo der ist?“

„Ja, kein Problem, die Strasse führt morgen daran vorbei; dann halten wir kurz; den Andern sagen wir wohl besser nichts davon, ich glaube, die verstehen so was nicht.“

 

Da hat er wohl Recht.

Ist schon verrückt: da bringen ein Hindu und eine Christin dem Buddha einen Lotos, und ein Sikh macht das möglich.

 

Es ist schon dunkel, als wir in Kargil eintreffen. In dem einzigen Hotel wimmelt es von Kriegsberichterstattern, Filmteams  und anderen Medienleuten. Mit Glück erhalten wir Zimmer, nur für Sanath und den Fahrer ist keines mehr übrig.

Kein Problem, die können in unserem Zimmer schlafen, wir haben Schlafsäcke mit, ich würde sie sowieso benützen, denn dieser Bettwäsche traue ich nicht ganz.

Ich bin froh, dass wir diesen Raum bekommen haben, an einem halbwegs sicheren Ort schlafen können; da ist es mir ziemlich egal, wie heruntergekommen er ist, vom „Badezimmer“ ganz zu schweigen.

 

Ich weiss nicht, ob der Strom ausgefallen ist, oder ob Verdunkelung Pflicht ist, jedenfalls gibt es kein Licht (die Glühbirnen sind ausgeschraubt) und das Nachtessen findet bei Kerzenschein statt.

Ich esse nur ein paar Bissen, spüre die Höhe, mein Magen rebelliert und meine Nerven sind immer noch ziemlich angespannt.

 

Laut und deutlich hört man das Artilleriefeuer aber auch Einschläge. Ich frage Kurt, ob das nahe sei; er sagt, es sei weit weg. Wir wissen beide, dass dies nicht stimmt.

 

Ich denke an die Menschen in Jugoslawien, die das andauernd hören müssen. Schrecklich.

 

Ich verkrieche mich in meinen Schlafsack und hoffe, dass die Pakistani auch heute weder Kargil, noch die Strasse treffen, und die Inder die Stellung halten.  

Von wegen Waffenstillstand.

Vor Mitternacht kehrt Ruhe ein.

 

Nach 02:00 wache ich auf. Sie schiessen wieder aus vollen Rohren.

Sanath und der Fahrer sind schon auf, denn in knapp zwei Stunden ist Weckzeit.

 

Durch einen Riss im Vorhang scheint Mondlicht – direkt auf den Lotos, der neben mir steht. Wundern tut mich nichts mehr.

Ich bin gut aufgehoben.

25.09.2011, 15:17 von Karin | 561 Aufrufe

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