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Mit einem Lotos durch den Kashmir 4/8

Kurz nach 12:00 erreichen wir den nächsten Checkpoint, am Fusse des 3'529 m hohen Zoji-Passes. Da wird uns eine Ruhepause bis 14:00 verordnet, denn dann ist der nur einspurig befahrbare Pass in die gewünschte Richtung wieder offen.

Wir sitzen mit unseren Lunchboxen an einem Bach, der Lotos hat frisches Wasser bekommen, und nagen an weiteren Benzin-Toasts. Ein Hühnerbein hat es auch noch dabei, aber das bekommen die bettelnden Kinder.

Wenn ich allerdings gewusst hätte, dass sie es nur auf Geld abgesehen haben und das Hühnerbein im Bach landet, hätte ich es selber gegessen.

 

Nach 14:00 ist die Strasse wie angekündigt offen, und der Bus windet sich durch die unbefestigten Serpentinen stetig aufwärts.

Das mit dem Einbahnverkehr scheint für Militärfahrzeuge nicht zu gelten, denn die müssen wir des Oeftern kreuzen, und das ist buchstäblich Millimeterarbeit, und für uns ein ziemlich mulmiges Gefühl, zumal die Leitplanken fehlen…

Anfänglich haben die Trekker ganz begeistert ihre Höhenmeter konsultiert und jede 100 gewonnen Meter lautstark gefeiert, doch jetzt ist es ganz still im Bus. Auf der einen Seite geht es nämlich  gut 800 Meter senkrecht hinunter, und da ganz unten liegen einige Trucks.

In den Kurven sieht man sich über diesem Abhang schweben und hofft einfach, dass noch alle Räder Kontakt zur Schotterpiste haben und die nicht abrutscht.

Uns macht dies weniger  aus, sodass wir den Platz tauschen mit einem gar verängstigten Paar, das sich nur noch die Augen zuhält. So können sie wenigstens auf der Innenseite sitzen.

 

Die Landschaft hier ist schroff, die Berggipfel scharfkantig und spitzig.

 

Nach zwei Stunden sind wir auf der Passhöhe. Hier beginnt das Dras-Tal (Dras ist der kälteste Ort Indiens, da werden im Winter -40°C gemessen), und somit ändert sich die Landschaft schlagartig: Die Weite beginnt, unzählige Täler, umringt von 6'000 Meter hohen schneebedeckten Bergen – faszinierend schön!

 

Um nicht in Versuchung geführt zu werden, Fotos zu machen, haben Kurt und ich kurzerhand die Filme aus den Kameras genommen. Wir wollen wirklich keinen Aerger, und wie sollen die Soldaten auch wissen, was wir fotografieren?

 

Hier ist die Militärpräsenz gewaltig und wir werden ständig kontrolliert, aber nicht bei Checkpoints sondern einfach von Militärs, die uns anhalten und einen Blick in den Bus werfen wollen, auch schon mal verlangen, dass wir Munitions- oder Gewehrkisten mitnehmen und nach Leh bringen.

Sanath lehnt dies jeweils erfolgreich ab.

 

Wir passieren lange Batterien von Artillerie;  die Gefahr des Krieges ist für mich direkt spürbar.

 

Jetzt sind wir in einem engen Tal, ca. 30 km vor Kargil, dem am heftigsten umkämpften Ort in diesem Krieg. Jeder Zentimeter entlang des Baches wird für Kriegs- und Versorgungsmaterial genutzt, wenige Meter weiter oben verläuft die Strasse.

Wieder stehen mehrere Panzerhaubitzen mit fast senkrecht gestellten Rohren da, damit ihre Munition über den Berg auf die pakistanische Seite gelangt.

 

Und dann geschieht das Unfassbare, mit dem wirklich niemand gerechnet hat: Sie beginnen zu schiessen, und zwar alle zusammen.  

Der Lärm ist ohrenbetäubend und der Bus erhält einen Schlag, die Fensterscheiben klirren, Gepäckstücke fallen zu Boden.

Ich bin sicher, dass wir getroffen wurden, warte auf die Explosion.

 

Erstaunlicherweise bin ich ganz ruhig, ganz in mir, ausserhalb von Raum und Zeit, bete, und versuche, wie ich es aus dem tibetischen Totenbuch gelernt habe,  mein Bewusstsein auf das grell-weisse Licht zu richten, - wenn es denn erscheint. 

Wie immer, wenn ich mich in einem meditativen Zustand befinde, habe ich keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist, aber nichts geschieht, und der Bus scheint weiter zu fahren; wie durch Watte hindurch höre ich die aufgeregten Stimmen der Anderen.

„Bist du ok?“ Das ist Kurts Stimme, ganz nah am meinem Ohr.

„Sind wir getroffen worden?“

„Nein, das war nur die enorme Druckwelle, es ist nichts weiter geschehen“.

 

Einer braucht ein Pflaster für eine Schramme am Kopf, Anderen ist schlecht – auch mir – aber Keiner will, dass der Bus unplanmässig anhält.

Ich habe eine Rolle Plastiksäcke mit, die Absatz finden. 

Nur weg hier, so schnell es geht!

 

Wir sind alle ziemlich geschockt; die einen sind ganz still, die Andern plappern unentwegt, wollen von Kurt und einem weiteren Schweizer, die beide einmal im Militär waren, Auskunft über Art und Funktion dieser Haubitzen und all dem anderen Kriegsmaterial, an dem wir vorbeifahren.

 

Alle sind froh, dass wir dann beim nächsten Checkpoint aussteigen können, wo jeder etwas seiner Wege geht; das Erlebte und die ungewohnte Höhe fordern ihren Tribut: Kopfschmerzen und Uebelkeit, das Gefühl schwer zu atmen, keine Luft zu bekommen.  

Auch die nahen Büsche werden aufgesucht.

 

24.09.2011, 13:54 von Karin | 460 Aufrufe

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