
Der NZZ-Artikel gibt einen Einblick in die momentane Lage im Ladakh.
Meine Gedanken wandern zurück in den Juli 1999. Der Krieg zwischen Indien und Pakistan ist erst vor wenigen Tagen offiziell beendet worden, der ganze indische Teil Kaschmirs ist voller Militär, das auch immer noch Artillerie abfeuert, aber hier im Ladakh herrscht tiefer Frieden. Ueber drei gut 4'000 Meter hohe Pässe auf unbefestigten Strassen mussten wir fahren, bis wir endlich in Leh angekommen sind. Die Ladakhis sagen deshalb „Wer diese Mühe auf sich nimmt, uns zu besuchen, muss entweder ein guter Freund oder ein schlimmer Feind sein.“ Wir sind eindeutig in freundlicher Absicht gekommen, aber ein „Feind“ in Form von Regenwolken ist ebenfalls über die Berge gelangt. Der Niederschlag ist absolut untypisch für diese Region, gehört sie doch zu einem der trockensten Gebiete der Erde, und somit ein grosses Problem für die Flachdach-Lehmhäuser. Die Nässe sickert durch Dächer und Decken, läuft den Wänden nach hinunter und weicht sie langsam aber sicher auf. Seit fünf Tagen regnet es bereits. In den Klöstern werden überall Zeremonien durchgeführt, die den Regen stoppen sollen, während das Wasser über die uralten Fresken läuft und diese unaufhaltsam zerstört. Alles ist vergänglich, nichts für die Ewigkeit, gebetet wird nur, um das Leid der fühlenden Wesen zu mindern, Kunstschätze sind nebensächlich.
Ich stelle mir vor, dass und wie sie dies auch in diesen Tagen wieder tun, in dieser selbstverständlichen Gelassenheit, die uns Westlern so fremd ist.
Und ich sehe die wettergegerbten Gesichter der Bauersleute die so manche Entbehrung kennen und doch so zufrieden sind mit dem, was sie haben. Ich denke auch an die Wanderarbeiter aus Bihar, einer der ärmsten Gegenden Indiens, die meist im Strassenbau beschäftigt sind, wo sie mit einfachsten Mitteln vor Ort Teer kochen, um Schlaglöcher auszubessern und alles dafür tun, dass die Pässe während dem kurzen Sommer befahrbar bleiben und es im Frühling wieder werden.
Sie alle tragen dazu bei, dass Leben auf 3800 m.ü.M. und bei -20°C im Winter, wo es draussen oftmals wärmer ist als in den Häusern, nicht vorwiegend Ueberleben bedeutet, sondern eine ganz eigene Qualität von tiefer Zufriedenheit und stillem Glück für jeden Einzelnen bereithält.
Und wenn die Tage der Trauer vorbei sind, werden sie wieder zu diesem Rhythmus zurückfinden, weil eben alles so ist, wie es ist, und das Heute wichtiger als das Gestern.
Ich werde den Ladakhis immer dankbar sein, was sie mich lehrten und mir dadurch diese Reise zu einem unvergesslichen Erlebnis machten.
18.08.2010, 23:07 von Karin |
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