Freitag, 29. März 2024, 14:50
 

Sind lebenslange Berufsverbote für Banker wünschbar?

Der folgende Artikel in der NZZ hat ein Brainstorming ausgelöst.

Saftige Busse für fehlbaren UBS-Kundenberater
Britische Finanzaufsichtsbehörde sanktioniert Beratung eines indischen Kunden
 
Volltext-Quelle NZZ Online 16.12.2011


Die Sanktionsmassnahme der britischen Finanzaufsichtsbehörde sollte bei Bankern – auch in der Schweiz - alle Alarmlampen angehen lassen. Wird diese "Strafe" nicht noch wesentlich abgeschwächt, mache ich eine mögliche brandgefährliche Entwicklung aus. Auf den Finanzplätzen dieser Welt mussten sich bisher Private Banker "nur" an die lokalen Gesetze und die bankinternen Regeln halten, um sich relativ sicher zu fühlen, dass sie sich im bekannten Gesetzesrahmen bewegen.

Die Bestrafung in London, weil der Banker das Recht im Heimatland des Kunden verletzt hat, ergibt eine völlig neue Qualität bzw. schafft eine kaum überblickbare Risikokategorie. Jede Beratung eines Kunden mit ausländischem Rechtsdomizil erfordert dann zusätzlich zum Banker einen Juristen, der mit dem Recht im Domizilstaat des Kunden im Detail für Bankgeschäfte vertraut ist. Die Kosten für den Beratungs- und Betreuungs-Prozess verteuern sich entsprechend und sind - abhängig von der Anlagesumme - allenfalls nicht mehr über übliche Kommissionen zu begleichen. Das lässt sich jedoch arrangieren und ist grundsätzlich in Ordnung, wenn die Abfolge der Beratungsschritte vorher festgelegt und bekannt ist. Dieser Aspekt ist für diesen Artikel nicht wichtig.  

Der Schockteil der Meldung besteht im ausgesprochenen BERUFSVERBOT! Wer vorschnell zu dieser Massnahme nickt sollte sich vorstellen, was es heisst, wenn in allen Berufen Fehler und Fehlverhalten ruck zuck mit einem lebenslangen Berufsverbot bestraft würden. Also wenn z. B. alle Ärzte, die durch einen Kunstfehler den Tod von Patienten verursacht haben, mit  <lebenslangem> Berufsverbot belegt würden. Jeder Profi-Chauffeur nach einem Unfallschaden mit Todesfolge oder Sachschaden von mehr als Betrag x ein Berufsverbot in Kauf zu nehmen hätte.


Berufsverbote für ALLE! Oder nur für Banker?


Finden Sie die Strafe für den Banker in Ordnung stellt sich die Frage, wie Sie es mit Berufsverboten sehen, wenn es um Bestrafung in Ihrer eigenen Branche, in Ihrer Firma, bei Ihrem Arbeitgeber geht?

Im zu Ende gehenden Jahr gab es viele Meldungen zu Pädagogen, Therapeuten und Pflegepersonal, die an Kindern und  Alten sexuelle Handlungen vorgenommen haben. Missbrauch gab es auch gegenüber erwachsenen im Leben stehenden Frauen durch Therapeuten. Ebenfalls sexuelle Übergriffe gegenüber körperlich starken und intelligenten jungen Menschen der Nachwuchs-Sportelite durch deren Trainer oder andere Vertrauenspersonen. In diesen Fällen neige auch ich immer wieder spontan zum Ruf nach lebenslangem Berufsverbot. Trotzdem ist Vorsicht geboten.

Eine Medienmeldung mit Schlagzeile kann nie ausgewogen sein. Auch viel oder wenig Text ändert daran nichts. Komprimierter Text vermittelt genauso wie aufgebauschter, ein unvollständiges Bild. Jeder Fall ist individuell und kann daher nicht mit einer verbindlichen und einheitlichen Pauschalstrafnorm geregelt werden. Wenn die 15-jährige Venus den Lehrer so irre macht, dass sie erfolgreich mit ihm im Bett landet, gehört er zwar immer noch bestraft, aber nicht mit einem lebenslangem Berufsverbot.     


Eine beeindruckende Mehrheit der Staaten auf  der ganzen Welt hat die Todesstrafe abgeschafft. Auch ein Anders Breivik, eiskalter Mörder von 77 jungen Menschen in Norwegen, muss nicht mit der Todesstrafe rechnen. Das Strafmass der Todesstrafe für Gewaltverbrechen, wird hier verglichen mit einem lebenslangen Berufsverbot. Ist nicht vergleichbar? Ist es sehr wohl.

Ein Berufsverbot ist eine sehr einschneidende, schmerzhafte Sanktion und gemessen am Schaden ist das Berufsverbot so unwiderruflich in seiner Wirkung wie die Exekution für den Gewaltverbrecher. Es liegen mir keine Werte aus Studien vor und deswegen lässt sich die Ansicht nicht festzurren, aber individuell mögen  betroffene Menschen das Berufsverbot als schlimmer empfinden, als eine überblickbare  Gefängnisstrafe. Ausbildung, Wissen und Erfahrung können nicht mehr zur Gewinnung des Lebensunterhalts eingesetzt werden, das   soziale Netz bricht weg, ein Dasein am Rande der Gesellschaft droht.


Todesstrafe und Berufsverbot sind in der Konsequenz und unter Berücksichtigung vom angerichteten Schaden vergleichbar


Achselzucken! Klar geht. Alles wovon man nicht persönlich oder das eigene Umfeld betroffen ist, nimmt man cool und abgeklärt zur Kenntnis. Aber stimmt die Verhältnismässigkeit und das gesellschaftliche Strafmass, wenn ein Berufsverbot – heute für Banker, morgen für weitere Berufsgruppen – zum Trend würde? Auf den ersten Blick ist eine solche Sanktion auch noch eine extrem kostengünstige Bestrafungsmassnahme für den Staat und die Steuerzahler.

Ist es dies aber auch noch dann, wenn die ins Abseits gedrängten Berufsleute am finanziellen Überlebungstropf der Sozialämter landen? Eine solche Unterstützung gehört ja zum moralisch ethischen Grundverständnis unserer Gesellschaft. Zumindest heute noch, wo ja verurteilte Gewalttäter vom Staat untergebracht und versorgt sowie nach Haftentlassung – auch aus lebenslänglicher Haft - weitaus grosszügiger unterstützt werden als die Opfer der Gewalttaten. Die müssen in der Regel selber sehen, wie sie mit Schaden und Folgen klar kommen.


Die Sanktion wurde in London gefällt. Doch dies ist ein Keim, der sich durchaus zu weltweiter Verbreitung entwickeln könnte. Es geht ja nur um Banker und die haben es verdient, denken Sie! Um Missverständnissen vorzubeugen. Strafe muss sein. Die Geldstrafe könnte z. B. höher sein und gegen ein zeitlich bedingtes Berufsverbot ist auch nichts einzuwenden. Es darf und muss richtig wehtun.

Was mich aber eigentlich an der Geschichte stört ist folgende Tatsache. Das Geschäftsmodell der Steueroptimierung durch Kapitaltransfer in steuerlich interessante Staaten, unter Einhaltung derer Gesetze, wurde seit Urzeiten von den Banken, der Politik und der Gesellschaft in den profitierenden Ländern, akzeptiert und gefördert. Der Finanzplatz London hat diesbezüglich gar die Nase vorn. Das hat geändert. Die Karten werden neu gemischt. Gesellschaftlich sind inzwischen Steuervorteile für Ausländer durch Schwarzgeldtransaktionen zum verpönten und verachteten Geschäftsmodell geworden und die Machtverhältnisse in einer globalisierten Welt sorgen mit Turbotempo für die Durchsetzung neuer rigider Steuerradarnormen.

Das ist in Ordnung. Ist es aber in Ordnung, wenn nachträglich und rückwirkend Personen bestraft werden, die sich im Mainstream aufgehalten und moralisch anrüchige aber weithin tolerierte Vertriebs- und Beratungspraxis angewandt haben?


Mich stört die glänzende Gesellschaftsmoral, wenn der perfekte Glanz dadurch erreicht wird, dass man im Nachhinein die neue Moral als schon immer sakrosankt erklärt. Die kleinen Rädchen an der grossen Maschine werden dann einfach als übersehenen Konstruktionsfehler ausgewechselt und als Abfall entsorgt.
 

17.12.2011, 17:32 von Relax-Senf | 3828 Aufrufe

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