Freitag, 29. März 2024, 11:13
 

Russisch Roulette - Israel und der Erstschlag - 
Iran und die Atombombe


Medienberichte und Kommentare auf mycomfor von @zombie1969 lassen mich in die Tasten greifen.  Zombie1969: Mit glühender Begeisterung haben Sie am 09.11.2011 auf die Ankündigung Israels reagiert, einen Militärschlag gegen den Iran als anstehende Option zu betrachten.  Nachgelegt haben Sie mit Ihrem Kommentar am 22.11.2011. Irritiert lese ich von der euphorischen Erwartungshaltung, dass bald "der Iran weggeputzt wird."

Die von Ihnen gezeigte Freude, dass es endlich los geht und herrlich  knallen könnte, bringt mich schwer ins Grübeln und ich muss mir die auf mycomfor geltende Netiquette vor Augen halten, um meine Sicht cool und sachlich einzubringen.

Allgemein: Alle Kriege sind grausam und verursachen Tod und unendliches Leid bei allen Kriegsparteien. Krieg ist das Versagen der Politik und wird zum Glück in Europa nicht mehr als gültiger Lösungsansatz betrachtet. Ein Ausreisser war das Gemetzel auf dem Balkan. Ausgelöst durch populistische Fundamentalisten, die an eine von Gott abgesegnete Mission glaubten, wovon das Recht abgeleitet wurde, aus nationalistischem Stolz und Machtansprüchen, andere Menschen zu Massakrieren, die durch den selbst definierten Raster der Kriegstreiber gefallen sind.

Die Angelegenheit ist Geschichte. Die Aufarbeitung ist noch nicht beendet. Die Mühlen der Gerechtigkeit mahlen langsam, aber sie mahlen in diesem politisch, gesellschaftlichen Bereich sehr zuverlässig. Die negative Auswirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung auf dem Balkan, hat hauptsächlich Verlierer produziert. Wobei die Verlierer an wirtschaftlichem Auskommen und Lebensqualität, eine erdrückende Mehrheit in allen politischen Lagern ausmachen. Ich wage die Prognose, dass die Mehrheit dieser Menschen in einem demokratischen Prozess nie für einen Krieg und mit technischer Präzision ausgeführte Massenexekution gestimmt hätte.

Israel und seine Nachbarn, ein anspruchsvolles und komplexes Thema, bei dem es als Kommentator keinen Blumentopf zu gewinnen gibt. Die Meinungen der Pro- und Contra-Lager sind gemacht, weshalb ich normalerweise aufs Kommentieren verzichte.

Aber die Begeisterung für erhoffte Kriegshandlungen von @zombie1969 darf nicht ohne Widerspruch bleiben. Nicht auf dieser News Plattform, an der ich massgeblich mitwirke. Hier der Versuch zu einer Argumentationslinie, der beide Lager zustimmen können. Ein unmögliches Ziel, aber erwünscht ist die Zustimmung von vielen Menschen aus den gegenüberstehenden Meinungsblöcken.

Den Balkankrieg habe ich erwähnt, weil es ein sicht- und spürbares Resultat zeigt. Verlierer wohin man blickt. Dies bringt mich zur Einschätzung, dass von Israel gegenüber dem Iran ausgelöste Kriegsaktivitäten eine Katastrophe zur Folge haben könnte. Die Zeiten sind vorbei, als man mit einem Sechs-Tage-Krieg prophylaktisch und chirurgisch präzise, einen Krieg beginnen und erfolgreich beenden konnte.  Die letzten grösseren Kriegshandlungen im Libanon, haben die israelische Erwartungshaltung, von schnellem Erfolg ohne nennenswerte eigene Opfer, schwer erschüttert.

Der Iran ist nicht mit den Material- und Zahlenmässig „schwachen“ Milizen im Libanon zu vergleichen. Der Iran ist eine Militärmacht, die man ohne Einsatz von Atombomben nicht mit einem Sonntagsmorgenüberfall ausschaltet. Auch die USA können dies nicht erreichen solange man eine relativ humane Kriegsführung ausübt. Gemeint ist, der Verzicht auf Atombomben und konventionelle Bombenteppiche, wie sie noch im II Weltkrieg z. B. in Hamburg und Dresden gelegt wurden.

Wenn der Iran nicht mit massiven Mitteln und ohne jede Rücksicht gegenüber der Zivilbevölkerung angegriffen wird, ist als Bumerang mit militärischer Schadensgewalt in Israel zu rechnen und es wird Tode geben. Viele Tode. Die gegenüber der Hamas geltende Racherechnung, für jeden toten Israeli killen wir 10 bis 20 Palästinenser, greift nicht bei einem Waffengang mit dem Iran. Es wird Tode geben, viele Tode auf beiden Seiten und die ganze Region könnte in Flammen stehen. Auch dort, wie in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo sich vom Westen unerwünschte Revolutionen ausbreiten könnten. Syrien könnte sein Heil aus der innenpolitischen Krise durch eine Kriegsbeteiligung gegen Israel suchen. Dies würde Flugzeugbomben und Raketen der Israelis auslösen, womit die Überlebensenergie der Syrer neu gebündelt würde. Das tägliche Überleben unter Kriegsbedingungen wäre dann erste Priorität und somit wichtiger als die Revolution gegen das Assad Regime.

Mycomfor Kommentator zombie1969 weist zu Recht auf die menschenverachtende Kraftmeierei von Irans Machtzirkel hin, Israel auf der Landkarte auszuradieren. Ein Harakiri-Spiel, das tatsächlich bei entsprechender Eskalation keinen Stopp vor allen militärischen Kampf- und Machtmittel zur Folge hätte. Dies ist das Szenario, wenn Israel von militärisch überlegenen Kräften angegriffen  würde. Völlig anders sieht es aus, wenn Israel mit einem Erstschlag gegen den Iran den Krieg einleiten würde.  Die sofortige und bedingungslose Unterstützung durch Nato und weitere EU-Kräfte würde kaum stattfinden, bevor nicht ein Teil von Israel selber in Schutt und Asche liegen würde. Dies ist nicht zynisch gemeint sondern berücksichtigt schlicht die Zeitdauer von demokratischen Entscheidungsprozessen und die sind je länger je mehr davon abhängig, dass sich die Bürger den Anordnungen der Regierungen - nicht mehr einfach „knurrend aber gehorchend“ - beugen.

Die Europäischen Regierungen hätten keinen Rückhalt in den Wahlvölkern, um dienstbeflissen und vorauseilend – d.h. vor Abwendung des Schlimmsten – in den Krieg zu ziehen. Irak und Afghanistan lassen grüssen. Die Toten die dort zu beklagen sind, wären als marginale HR-Verluste einzustufen im Vergleich zu den grossen Verlusten, mit denen bei Kriegshandlungen in „mehreren“ Ländern im Nahen Osten zu rechnen wäre. Die Erwartung von zombie1969, dass die EU-Truppen auf erste Anforderung hin, an einem selber ausgelösten Krieg teilnehmen würden, ist daher eine Illusion.


Fassungslos macht mich immer wieder, wie Menschen sich an Moral und Ethik erinnern, wenn es um das Beklagen von kritisierten Zuständen geht und somit der eigenen Argumentation und dem Punktegewinn dient. Diese Werte spielen jedoch keine Rolle, wenn eigene Vorstellungen gewünschte Veränderungen beherrschen. So beklagt zombie1969 die verbale Aggression gegenüber Israel durch die anderen Konfliktparteien. Selber äussert er sich aber so: „ …es ist nur noch eine kurze Frage der Zeit bis der Iran weggeputzt wird.“   Ist ausradieren und wegputzen nicht dieselbe Sprachkeule?  Weitere Ermutigung, damit das Wegputzen passiert: „Der bewaffnete Konflikt scheint unausweichlich geworden zu sein. Umso schneller das Regime in Teheran weg ist, umso besser.“

Die Leichtigkeit mit der, wie es scheint, die Feuer-und-Flamme-Kommentare für eine rasche Gewalteskalation geschrieben wurden, erschrecken mich zutiefst. Das Anstreben der Fähigkeit zur  Atombombenherstellung im Iran, lässt mich nicht kalt. Es löst Unruhe aus. Ein Teil der Welt wird unsicherer damit. Ist diese Überlegung richtig oder tritt sogar das Gegenteil ein? Eine Balance des Schreckens, wie sie es im kalten Krieg gegeben hat und die letztlich die Machtgelüste in Ost und West gezügelt hat. Ein Versuch diese Gewalt-POTENZIAL-Stufe vorbeugend mit effektiver Gewalt zu verhindern, ist zu vergleichen mit dem vorbeugenden Exekutieren von Menschen, deren dokumentiertes Gewaltpotenzial zu möglichen Kollateralschäden führen könnte. Ein No Go unter den derzeitig vorherrschenden gesellschaftlichen Moral- und Ethikbedingungen. Den Tod einer Person, einer Familie, einer Schulklasse nimmt man dabei in Kauf. Bei wie vielen Personen diese Haltung aufhört, ist eine ungeklärte Frage. Aber Tote muss es geben. Viele. Erst dann könnte aus einem No Go, eine andere Haltung mutieren.

Erschreckend finde ich, wenn es Menschen gibt, die fern vom Schuss den Erstschlag begrüssen, ja herbeisehnen. Mit der Fernbedienung in der Hand ist der Horror des Krieges anscheinend erträglich. Man kann ja wegzappen oder auch, wenn die Richtigen sterben, mehrmals hinsehen. Aufzeichnung macht es möglich. Was aber, wenn das Geschehen nicht wie in einem Rambo-Film abläuft! Es nicht bei einfach wegzusteckenden Blessuren bleibt, bei jenen die man liebt? Bei jenen, von denen man einen glanzvollen Sieg ohne schmerzende eigene Verluste erwartet hat?

Wer Russisch-Roulette spielt, weiss nie wie es ausgeht. Ein provozierter Waffengang gegen den Iran ist mindestens Russisch-Roulette wenn nicht gar verordnetes kaiserlich japanisches Harakiri.

In den Medien wird berichtet, dass Israel weder die militärische Power noch das Geld für einen provozierten Krieg hat, der nicht mit dem ersten Schlag beendet ist sondern lediglich die Explosion für den Flächenbrand ist. Es ist sehr gut, dass das Geld fehlt, sonst würde wohl die Droge Sieg abholen, den Verstand ausser Gefecht setzen. Ein schauriger Gedanke. Da ist es gut, dass auch den Amerikanern das Geld fehlt und Europa steht ohnehin vor dem Abgrund. Und dies ganz ohne Waffengewalt.

Das fehlende Geld wird im Laufe der Zeit die Dinge verändern. Gewinnen werden dabei die, welche zurzeit ertragen müssen, was ihnen auferlegt wird. Einen gangbaren Weg suchen, auf dem es für Alle Platz hat, ist nicht ohne Opfer in allen Lagern zu erreichen. Doch es ist ein Weg. Es ist sogar der einzige Weg, wenn friedliches Miteinander und wirtschaftliche Prosperität für Alle hergestellt werden soll. Wenn dies nicht passiert, verweise ich auf die Kraft des Arabischen Frühlings. Wenige Herrschende können auf Dauer nicht die Fluten aus dem Meer der Unterdrückten absorbieren.

Abschluss-Impuls: Rechtfertigt die Angst von Israel vor einer Atombombe im Iran, einen vorbeugenden Erstschlag bei dem Hundertausende von Zivilisten – in beiden Ländern – ihr Leben verlieren könnten? Sind die Menschen in diesem Machtszenario einfach Hobelspäne auf dem Weg zum Sieg-, Ruhm- und Machtziel?


23.11.2011, 22:37 von Relax-Senf | 8686 Aufrufe

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