Relax schlägt zu - Schwangerschaft beendet



Nein, ich habe keine Ahnung wie sich eine Schwangerschaft anfühlt, aber mein Netzhautproblem hat sich derart in die Länge gezogen, dass ich den achten Monat erreicht habe und bis das Rezept für die neue Gläserkorrektur vorliegt, dürfte meine Leidenszeit den üblichen Zeitrahmen für eine normale Niederkunft erreichen.  

Es war eine schwierige Zeit und sie ist noch nicht endgültig abgehakt. Ist sie jemals vorbei? Wohl kaum, wenn man den lapidaren Satz des Chefarztes abspeichert. „Ihre Situation ist stabil. Ihnen ist aber hoffentlich klar, dass, diese heute korrekte Feststellung, schon morgen wieder unzutreffend sein kann!“ Hurra, das habe ich mir gewünscht. Ich liebe diese Unsicherheit, sie gibt etwas kostenlosen Nervenkitzel ab, in einer Zeit wo die Welt aus Langeweile stillzustehen scheint. Wobei man die allgemeinen Probleme nicht nur lesend wahrnehmen muss, aber die Gewichtung weicht halt immer dann von jener der Allgemeinheit ab, je mehr man mit konkreten eigenen Problemen befasst ist.

Probleme die real vorhanden und ungelöst sind. Es beisst ständig im Auge und so ist es wohl eine nicht verwunderliche  Folgeerscheinung, dass es gelegentlich auch im Kopf zwickt. Doch geübt in philosophischer Betrachtungsweise rettet die Erkenntnis, wenn man von etwas „ZWEI“ hat (!) geht es doch allemal weiter, wenn nur ein Organ ausfällt. Blöder ist es da ja schon, wenn eine eskalierende Problemsituation den Kopf oder das Herz betrifft! Kommt von daher der Aufgesaugte Weckruf: Aufpassen, es geht um Kopf und Kragen?

Eine Schwangerschaft kann ja Glücksgefühle auslösen und unter dieser Prämisse ist ja auch der Umgang mit dem möglicherweise persönlich eingeschränkten Wohlempfinden ein völlig anderer, wie wenn einem die unerwünschte Schwangerschaft den Schlaf raubt. Kämpft man mit einer unerwünschten Wirkungsfolge, ist die Geduld beim Warten auf Besserung von so bescheidener Realitätsstärke, wie wenn man die Verbesserung von Geldsorgen mit der beeinflussbaren  Existenz eines Dukatenscheissenden Grautiers verknüpfen würde. Im achten Monat angekommen, gibt es im Rückblick doch Momente die ich durchs Schreiben aufarbeiten bzw. wie schon vor langer Zeit angekündigt schlicht festhalten möchte. Dazu nehme ich mir aber noch etwas Zeit. Heute will ich die gerade erwachte Schreiblust zur Kommunikation von zwei Informationen nutzen.

Es geht mir grundsätzlich gut. Die Augenklinik hat mich ohne Auflagen aus dem Kontrollprogramm entlassen und zur weiteren Betreuung an den Haus-Augenarzt verwiesen. Dies sei an dieser Stelle vor allem für jene erwähnt, denen ich noch Antworten auf E-Mails schulde. Danke für die Zeilen und ich werde sicher noch individuelle Antworten verfassen. Mit dieser öffentlichen Erwähnung möchte ich auch festhalten, dass alle gleich behandelt werden und mein Schreibstau nicht auf eine einzelne Person zutrifft. 

Den stillen und fleischlosen Karfreitag habe ich gestern genutzt, um mich verwöhnen zu lassen, um Lüsten nachzugeben – ja Mehrzahl – und um den erreichten Markstein zu feiern. Von je mehr Lüsten man dann und wann gepiesackt wird, umso lebendiger ist man noch. Auch wenn mit ärztlicher Reparaturarbeit nicht mehr 100 Prozent Originalteile im Körper vorhanden sind. Noch bin ich nicht am Ziel und trotzdem der Karfreitag Zwischenhalt, mit der folgenden Marschverpflegung, gibt neue Energie, um das – hoffentlich - letzte Teilstück in Angriff zu nehmen.

Schwangerschaftstechnisch ausgedrückt. Der Grossteil der speielenden Wochen und Monate liegen hinter mir, die Situation ist stabil und jetzt folgt das Bemühen, die Sache zu einem erfreulichen Abschluss zu bringen. Und dazu sind Genussstunden und Genusssünden allemal hilfreich.

Gestern war Relax-Sohn der Jüngere zu Gast im häuslichen Paradiesgarten, mit angegliedertem Denk – und Relax-Tempel. Im geografischen Herzen der Schweiz, wo die Echtherzen der Habsburgerdynastie – ohne Kopf und Körper – in der Krypta für den Tag der Auferstehung aufbewahrt werden.

Die Gedanken an dieses verzuckerte Ende, haben bei mir gestern Kräfte von irdischem Verlangen freigesetzt. Von Stunde zu Stunde bin ich mehr aus meiner genusstechnischen Verzichts- und Frömmigkeitsstarre aufgewacht, nachdem ich in den letzten sechs Wochen grösste Disziplin habe walten lassen, um im Vorfeld von Vollnarkose Nr. 3 in sieben Monaten, fit für die anstehende Operation zu sein und um mal wieder Platz für kalorienreiches Seelenfutter zu schaffen.

Über das Minimalziel hinaus von minus 2.5 kg, habe ich vier kg geschafft. Grund genug um mal wieder Gegensteuer zu geben, denn welch schrecklicher Gedanke, ich würde mich an Lustverzicht gewöhnen! Nein. Gestern habe ich die Lustdisziplin unterbrochen, mir wieder vor Augen geführt – und mit dem Gaumen ertastet – wie schön das Leben sein kann, wenn wundersame Bissen und Tropfen den Weg vom Mund zum Magen gehen. Diese Genusssünden wirken wie Doping, um die vielen Termine mit Leuten in weissen Kitteln als lohnenswerte Aktivität zu begreifen und deshalb auch die weiteren Termine mit frischem Mut anzugehen. Warteräume und Untersuchungsstühle, als nichts anderes Begreifen, wie Haltestationen auf dem Weg zum nächsten machbaren Genussgipfel.

Bei herrlichem Sonnenschein haben wir am frühen Nachmittag den ersten Genussschritt getan und einen hausgemachten Rhabarberkuchen genossen.

Der Rhabarber war aus Nachbars Garten, aber nicht geklaut sondern 24 Stunden vorher nachbarschaftlich auf dem Silbertablett übereicht worden. Explizit gesagt wurde es zwar nicht, aber ich denke die Geste hatte auch damit zu tun, mit dem Rhabarber Frau Relax zur Kuchenproduktion zu verleiten, denn wie bekannt ist, ist es für gestresste Augen hilfreich, wenn Schönes als Augenbalsam zur Verfügung gestellt wird. Dazu gehören in meinem Fall auch Kuchen und andere Süssigkeiten in allen Variationen.

Keine Frage wollen auch unsere Nachbarn, dass meine Augen wieder an Sehkraft zulegen, um bald wieder neugierig und gute Laune versprühend den Blick in Nachbars Garten zu wagen. In den letzten Monaten konnte ich immer wieder ausgesprochenes Bedauern entgegennehmen, dass ich nicht mehr so scharf gucken konnte. Nun ich werde nichts unversucht lassen, um den alten Zustand wieder herzustellen. Und hilft die Brille nicht, muss man halt näher ran mit den Augen.

Normalerweise gibt es bei Relax keinen Alkohol vor Sonnenuntergang. Karfreitag gab es eine Ausnahmeregel. Der Rhabarberkuchen hat die Stimmung gehoben, die Sonne lachte vom Himmel, meiner Seele ging es gut und ich hatte den Drang mein Glück mit meinem Umfeld zu teilen womit die Carte Blanche für Sohn Relax verbunden war, im Keller nach Seelenwohl versprechenden Tropfen zu fanden. Und er wurde fündig. Er entdeckt einen

Weissen Merlot – Bianco Rovere 2008 aus dem Tessin vom Weingut Guido Brivio, SA Mendriso. Es war eine tolle Flasche, die Nase und Gaumen Tropfen für Tropfen erfreute. Als Apérokitzel gab es Meerrettichschaum im Filoteigkörbchen. Köstlich.

Der traditionelle Hauptgang an Karfreitag ist Seezungenfilets mit Tatarsauce  und  mit Salzerdäpfel gemäss spezieller Frau Relax-Variante.

Sohn Relax hat sich nicht lumpen lassen und hat aus seinem eigenen Kellerbestand die folgenden Weine gesponsert.

Shiraz Pirramimma 2002 McLaren Vale, Australien
und
Blacksmith Cabernet 2004, Langmeil, Barossa Valley, Australien

Es handelt sich um kräftige Rotweine, wobei der Blacksmith Cabernet gegenüber dem Pirramimma eine fruchtigere Note aufweist. Rotwein zu Fisch, ist schon lang erlaubt und wird auch im guten Restaurant ohne mit der Wimper zu zucken serviert. Ob Rot- oder Weisswein ist schlicht eine Frage der persönlichen Präferenz und unterliegt NICHT MEHR alten d. h. überholten Konventionen.

Dessert ist bewusst ausgefallen. Nicht nur weil es ja bereits herrlichen Kuchen zum Auftakt gab sondern auch deshalb, weil ich mir eine kalorienfreie Dessert Variante gönnte.

Es gab eine tolle Kubazigarre eine R Torpedo. R wie Relax. Nein, um Angriffen wegen falscher Zitierung vorzubeugen, die Kuba R steht für Robeina und ist für jeden Liebhaber von Kubazigarren ein Highlight.

Klar was passt zu einer guten Zigarre besser als Wein: Single Malt.

Ein schöner Schluck GLENDRONACH – 15 Jahre in Sherry Casks gelagert – und ein Single Highland Malt.

Nach solchen Genussstunden sieht die Welt gleich wieder viel erfreulicher aus und so nehme ich mein letztes Stück weg in Kauf, hin zum Zeitpunkt der Sehprobe mit neuen Korrekturgläsern, um dann den Scharf-Gucken-Test zu machen.

Ich klammere mich an die Erkenntnis, dass am Ende einer Schwangerschaft das Leben in normalen Bahnen eine Fortsetzung findet – schwangerschaftstechnisch gesehen – und meine Netzhaut sitzt und passt und wenn wie früher ein Zucken nur bei scharfem Gucken passiert und dies nur als Lebensanregender Impuls. Dann wäre ich schlussendlich auch mit 60 Prozent weniger wieder zufrieden.

Hilfreich sind dabei auch die steigenden Ansprüche im Alter. Nicht alles was wackelt, löst dann noch einen Kontrollblick aus sondern es muss sich augenfreundlich präsentieren und diesbezüglich stelle ich bei meinen Augen immer mal wieder Überraschungen fest.