Wenn der Staat unter die Räuber gehtEs sind wirklich komische Zeiten. Immer wieder werden neue Schlachtfelder zwischen Deutschland und der Schweiz eröffnet. Aber nun geht es längst nicht mehr um ein nachbarschaftlich gestörtes Verhältnis, es geht auch nicht um den Kleinstaat Schweiz und in ihm um den vermeintlichen Profiteur auf Kosten anderer dank rechtsverdrehenden verschrobenen komischen Ansichten zur Behandlung von Steuersündern. Das sind alles nur Scheingefechte. Nein. Es geht darum, dass es hüben wie drüben keine Politiker mehr gibt, welche die Rechtsstaatlichkeit als demokratisches Prinzip über das eigene Kalkül stellen. Es wird Recht gebogen und in einer Weise plötzlich moralisiert, welche dem einzelnen Bürger vorerst gar nicht aufzeigt, welche Art Paradigmenwechsel sich da gerade im gesamten Staats- und Demokratieverständnis vollzieht. Heute war am Schweizer Radio die Frau Nales aus Deutschland zu vernehmen mit der Position zur Frage, ob der deutsche Staat sich der gestohlenen Bankdaten eines Hehlers bedienen solle, um Steuersünder dingfest zu machen, oder eben doch nicht? Sie meint: Natürlich soll man. Denn die Steuerhinterziehung, die damit aufgedeckt werden kann, ist der Diebstahl, den es zu ahnden gilt. Wenn die allgemeine Stimmung in der diffusen Form, wie sie nun durch die Parlamente wabert, sich festsetzt, dann kann das in Zukunft heissen, dass, um den Dieb zu packen, gestohlen werden darf, um den Mörder zu fangen, gemordet werden wird. Um dem Staat zum Recht zu verhelfen, wird das Recht – so mal vorübergehende – gebrochen. Denn genau das heisst das, was hier geschieht: Ein Staat setzt die Rechtsstaatlichkeit ausser Kraft, indem er einem Hehler für Diebesgut einen Millionenbetrag bezahlt, um damit einen 50mal höheren Steuerbetrag eintreiben zu können (der immer noch nur ein Tropfen auf die Staatsverschuldung darstellt und wohl eine Vielzahl anderer Geldmittel aus dem Land treibt, zumindest schleichend – und deren Besitzer aus dem Verantwortungsgefühl für diesen unberechenbar werdenden Staat). Der Staat verhält sich nun also korrupt, aber nur ein bisschen. Und verantwortet wird das Ganze vom gleichen Minister, der zuvor zur Bekämpfung des Terrorismus die Überwachung des Bürgers in einem Ausmass in Kauf nehmen wollte, das ganz andere Entrüstungsstürme hervorrief. Das Problem aber ist nur in der Ausgangslage das gleiche. Denn hier müssen nicht verschiedene Rechtsgüter gegen einander abgewogen werden, hier wird Gleiches oder sehr Ähnliches mit gleichen Mitteln bekämpft. Der Staat wird zum Rechtsbrecher, um Rechtsbrecher zu stellen. Im Grunde allerdings verhält sich der deutsche Staat tatsächlich “gesetzeskonform” (aber nicht rechtskonform): Eben lese ich im Tagesanzeiger, dass nach deutschem Prozessrecht das Gericht durchaus die Beweiskraft von widerrechtlich beschafften (z.B. bei einer unbewilligten Hausdurchsuchung) Beweismitteln zulassen kann. Deutschland, ich weiss nicht, ob ich Dich nicht mehr kenne, oder ob ich Dich erst jetzt zu erkennen beginne. Einfach grausam, das alles. Und wo sind sie geblieben, die Charakterköpfe der Politik, die Galionsfiguren, unter denen alles vielleicht nicht viel besser war, man aber wenigstens glauben konnte, ein paar Menschen hätten ein paar Dinge wirklich im Griff, und dies tatsächlich mit einigermassen verständlichen Absichten?
01.02.2010, 21:04 von Thinkabout |
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