Mittwoch, 17. April 2024, 01:43
 

Fakruechte

Altern heute, mehr Gnade als Recht ! 
 

Kürzlich war er Fünfundsechzig geworden. Ein Jahr nach dem Ende des zweiten Weltkriegs auf die Welt gekommen, wurde er vom ersten Atemzug an begünstigt. Staatlich verordneter Mord und Totschlag auf dem Schlachtfeld für Ruhm und Ehre des Staates sind ihm erspart geblieben. Die grauenhafte Fratze des Krieges ist ihm früher im Kino begegnet und in den vergangenen zwanzig Jahren am Bildschirm im gemütlichen Wohnzimmer. Bewaffnet mit der Fernbedienung hatte er jedoch den frei Haus gelieferten Horror immer im Griff.

Freiwillig beugte er sich ein Mal täglich dem Informationskonsumzwang, um mit kontrolliertem Schaudern die auf Quotenzuwachs gestylte Infotainment-Präsentation von zerfetzten Leichen, Halbverhungerten oder den lediglich Geschundenen, aber - Gott sei Danke - noch atmenden Kriegsopfern, über sich ergehen zu lassen. Wiederholungen zappte er weg. Der gesellschaftlich wichtige Informations-Mitsprache-Pegel wurde schliesslich durch mehrmaliges Hinsehen nicht erhöht.

Im Gegenteil, die Slow-Motion-Vorführung, bei gleichzeitiger Zoomvergrösserung, von Grausamkeiten aus allen Herren Länder, inklusive solcher Weltwinkel die es früher in der Schule nicht gab und deswegen auch heute unerwähnt bleiben konnten, lenkten seiner Meinung nach von den offiziell bestrittenen, tatsächlich aber feststellbaren, Überlebenskämpfen zwischen den Generationen im eigenen Land ab. Die Alterspyramide als Spiegelbild der produktiv einsetzbaren Gesellschaftsenergie stand auf dem Kopf da die Geburtenrate seit Jahrzehnten rückläufig war, während die locker erreichbare Lebensschwelle auf satte 90 Jahre zusteuerte.

High-Tech-Apparate-Medizin macht es problemlos möglich. Der Traum vom lebenswerten Lebensabend war realisierbar geworden. Die Kosten interessierten lange Zeit nur die von der Bevölkerung als unproduktive Berufsgattung wahrgenommenen Statistiker und die Volkswirte. Volkswirtschaftlich war die Kostenverrechnungsfrage bereits in den Neunzigern als ultimatives Grenzkriterium erkannt worden, aber die etablierten Koryphäen in dieser Wissenschaftssparte hüllten sich sträflich lange in fahrlässiges Schweigen.

Die sonst auf grösstmögliches Profil erpichten Professoren, verhinderten so eine unmissverständliche Diskussion in der Öffentlichkeit. Christliche Moral und Ethik durften nicht in Frage gestellt werden. Ein moralloser Ketzer, ein gesellschaftlich geächteter Lump, wer das Recht auf Leben bis zum bitteren Ende von einer volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung abhängig machen wollte. Das Recht auf die Verfügbarkeit von lebensverlängernden Massnahmen war ein Credo, zu dem sich selbst überzeugte Kirchensteuerflüchtlinge bekannten, um ihre christliche Gesinnung mit Kostenfolge dort unter Beweis zu stellen, wo sie die eigene zukünftige Bedürftigkeit nicht ausschliessen konnten.

Aufgrund des Konsens zwischen Gläubigen und Ungläubigen, Rechten und Linken sowie Politikern und Journalisten jeglicher Moralschattierung, schien es noch im Jahr 2000 möglich, fundamentale christliche Werte und volkswirtschaftliche Faktoren unter einen Hut zu bringen. Die teuere, vorhandene Krankenhausinfrastruktur musste lediglich produktiver genutzt werden, um eine höhere Wirtschaftlichkeit der durchschnittlichen Reaktivierungs- und Reanimationskosten zu erreichen. Es wurde ein Bündel von taktischen Massnahmen beschlossen, die alle darauf ausgerichtet waren, zwei strategische Erfolgspositionen zu realisieren:
  • Drastische Verkürzung der Durchlaufzeiten pro Einlieferung pro statistische Einheit
  • Die Behandlungsnachfrage musste gesteigert werden, um trotz reduzierter Aufenthaltsdauer eine volle Auslastungskapazität mit Aufnahmerückstau zu erreichen

Anfangs schien mit diesem Konzept der grosse Wurf gelungen zu sein. Die Kennziffer-Euphorie währte jedoch nicht lange. Noch bevor die erste Dekade im neuen Jahrtausend erreicht war, wurde praktisch über Nacht das letzte Tabu - nur scheinbar - zur Diskussion gestellt. Moral für sich genommen durfte nicht mehr immer schwer genug wiegen, um jegliche Kosten zur Lebensverlängerung oder auch nur zur Schmerzlinderung zu rechtfertigen !

Von Fakruechte

Fortsetzung folgt

18.05.2009, 01:45 von Fakruechte | 5493 Aufrufe

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