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Ab 1946 >> 

Wunschkinder und Generation Wirtschaftswunder

So hatte sich der Jahrgang 1946 den Start in den dritten Lebensabschnitt nie und nimmer vorgestellt. Von Geburt an verwöhnt, verhätschelt und ab dem Zeitpunkt, wo die eigene Erinnerung einsetzt in einer Welt aufgewachsen, als die Segnungen der sozialen Marktwirtschaft für erste zarte Impulse zugunsten von allen Bevölkerungsschichten sorgte. Zweifellos war die Zeit zu Beginn der Fünfziger hart bei den generellen Lebensbedingungen und karg bei der Versorgung mit Lebensmittel. Von dieser täglichen Last waren aber vorab die Eltern betroffen, physisch und mental.

 Die mit Freude und Hingebung gezeugten Kinder des Nachkriegsjahrganges 1946 dürften sich kaum zu der Qualität ihrer Versorgung bis zum Alter von vier bis fünf Jahren verlässlich äussern können. Vom Hörensagen sind natürlich trübe Erinnerungen – im doppelten Wortsinn – vorhanden. Allgemein gut abrufbar dürften jedoch die Lebenserinnerungen ab Einschulungsbeginn vorhanden sein, also vor etwas weniger als 60 Jahren.  

Der riesige Schritt vom Kindergarten in die Grundschule wurde am ersten Schultag mit der obligaten Schulstarttüte versüßt. Gefüllt nach dem Wundertütenrezept. Von vielfältigen Leckereien über Früchte inklusive Bananen und Orangen bis hin zu praktischen Artikeln wie Farbstifte als Erstausstattung für das Lernen, war alles Mögliche in dieser Geschenktüte enthalten. Ein Mal im Leben gibt’s diese Motivationspackung. Für Eltern ein Grund, alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit das eigene Kind an diesem Tag nicht bereits als Kirchenmauskind zu erkennen ist. 

Unterschiede gab es damals wie heute. Die begüterten Eltern scheuten sich nicht einen Teil der Tüte mit Holzwolle oder Papierknäuel zu stopfen, um zuoberst einen richtigen Füllfederhalter und glänzendes, sauteueres Reisszeug zu platzieren. Bei Kindern aus einfachen Verhältnissen konnte dagegen beim Betrachten des Inhalts der Eindruck entstehen, mehr und schönere Geschenke als an Weihnachten erhalten zu haben. In der dritten Schultütenvariante bestand der Inhalt aus viel Füllmaterial und günstigem Dekorationsmaterial obenauf.  

Doch die insgesamt gespeicherten Eindrücke vom ersten Schultag im 1953 stehen für klare Anzeichen vom Beginn einer wirtschaftlichen Entwicklung die bis zur Wiedervereinigung immer nach oben zeigte und einem grossen Bevölkerungsanteil paradiesische Zustände bescherte. Ein gewisser Anteil an benachteiligten Schultütenbesitzer verschwindet zwar nie ganz, aber zum Glück sind es nicht immer die gleichen Personen die sich in diesem Segment wiederfinden.  

Erinnerungswillige und erinnerungsfähige Jahrgänger dürften sich dieser Sicht der Dinge kaum ernsthaft verschließen. Das Verlangen nach einer gesicherten Befriedigung der Grundbedürfnisse dominierte die Unterhaltung der Eltern und anderer älterer Familienmitglieder. Motorisierte Fortbewegung, geldverzehrende Freizeitaktivitäten, der Gedanke an Ferien überhaupt, Fernsehen, Kühlschrank, Geschirrspüler etc., waren schlicht alles Begriffe die sich in Musestunden zum Träumen eigneten.  

In den wachen Stunden war der Alltag noch immer von Sparzwängen geprägt. Wenn Kondome zum Einsatz kamen, wurden die Pariser nach Gebrauch, von der Frau ordentlich durchgespült, zum Trocknen aufgehängt und danach fein säuberlich aufgerollt, damit das Überstülpen beim nächsten Einsatz ohne Zeitverzögerung vonstatten gehen konnte. Gebrauchte Damenbinden wurden zum Heizen im Ofen verbrannt. Haushalt Normalität anfangs der Fünfziger in Deutschland.

Für die Masse war deshalb beim Gedanken an Ferien im Ausland klar, dass zuerst ein Lottogewinn erfolgen musste, bevor der Herzens-Wunsch nach Reisen und Ferien in fernen Ländern wirklich geprüft werden konnte. Bundeskanzler Adenauer und Wirtschaftsminister Professor Erhardt sorgten dann aber mit ihrer Vision von „Sozialer Marktwirtschaft“ und vor allem mit der erfolgreichen Umsetzung der Vision, für das Deutsche Wirtschaftswunder. Plötzlich war es nicht mehr vermessen oder gar versponnen, von erstrebenswerten Wunschzielen zu träumen und täglich die Motivation, mit Blick auf die mögliche Erhöhung des persönlichen Wohlstandspegels, anzustacheln.  

Die Wurst baumelte nicht ständig unerreichbar vor Nasenspitze und Mund herum. Das immer wieder erfolgreiche Schnappen nach dem Wurstzipfel setzte ungeahnte Kräfte frei. Rund 12 – 13 Jahre nach einem verlorenen Weltkrieg, also 5 bis 6 Jahre nach der Einschulung, gab es wieder „normale“ Arbeiter und Angestellte mit Mut zur Kreditaufnahme zum Auto- oder Motorrad-Kauf. Selbst im Schwabenland reichte es allerdings, für angestellte Schaffer, nicht gleich zu einem Mercedes. Das Autokaufprogramm für Werksangehörige war noch nicht ersonnen!

Einen motorisierten Untersatz erwerben, reisen und fressen, das waren die Antriebsfedern für Arbeitseinsatz bis zum Umfallen. Wer Fortbewegungsmittel mit Motorantrieb erworben hatte, den drängte es zur Erfüllung der zwei anderen Spaßfaktoren in die Ferien nach Italien. Die armen und ausgehungerten Deutschen teilten ihren neuen Wohlstand mit den Italienern. Aus Italien wurde ein einziger grosser Teutonen Grill. Die nicht immer einfache Freundschaft wurde getragen von der Erkenntnis, dass jeder den Anderen braucht. Bei Vorteilen für beide Parteien fehlt es nie an gutem Willen bei beiden Parteien.

Von Fakruechte

25.09.2009, 02:13 von Fakruechte | 1312 Aufrufe

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